Laut DGUV waren 2021 in deutschen Betrieben etwa 710.000 Sicherheitsbeauftragte tätig. Reicht das?
Gerhard Kuntzemann: Entscheidend ist nicht die Anzahl der Sicherheitsbeauftragten, sondern die fachliche, räumliche und zeitliche Nähe zu den Beschäftigten. Es muss genügend Sicherheitsbeauftragte an den richtigen Stellen geben. Ein Beispiel: In einem Betrieb arbeiten in Halle 1 in der Frühschicht bis zu 60 Monteure, dann sollte der Sicherheitsbeauftragte in derselben Schicht arbeiten und am besten auch Monteur sein. Er kennt sich also fachlich aus und ist zeitlich und räumlich in der Nähe – nur dann kann er etwas bewirken. Wenn er aber zwei Hallen weiter in einer anderen Schicht arbeitet, hilft das niemandem weiter. Wenn er nie in Halle 1 arbeitet, kann er dort nicht auf Fehler angesprochen werden. Die räumliche und zeitlich Nähe ist also von zentraler Bedeutung. Damit steht und fällt die Wirkung der Sicherheitsbeauftragten.
Hat sich die Aufgabe der Sicherheitsbeauftragten in den letzten Jahren verändert?
Gerhard Kuntzemann: Der Job ist für sie sicherlich schwierig, wenn die Kolleginnen und Kollegen im Home Office sitzen und im Betrieb nicht mehr angesprochen werden können. Auch die Diversität ist eine Herausforderung für Sicherheitsbeauftragte, etwa wenn die Kolleginnen und Kollegen aus einer anderen Kultur stammen und dort ganze andere Lebenserfahrungen gemacht haben. Wie wollen sie einem syrischen Kollegen, der in seiner Heimat Angst um sein Leben hatte, weil Bomben auf sein Dorf gefallen sind, davon überzeugen, dass er jetzt Sicherheitsschuhe tragen muss, weil er sich sonst seinen kleinen Zeh brechen könnte? Das ist ein bisschen weit entfernt von seiner Lebenswirklichkeit. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der die Arbeit schwieriger macht.
Nämlich welcher?
Gerhard Kuntzemann: Die Betriebe entwickeln sich stetig weiter, die Jobs werden zunehmend diverser und spezieller. Früher haben in meinem oben erwähnten Beispiel in Halle 1 bis zu 60 Monteure gearbeitet. Heute sind dort 30 Monteure, 20 Elektriker, 3 Instandhalter und 7 Konstrukteure tätig, die alle einen anderen fachlichen Hintergrund haben. Seinerzeit war der Sicherheitsbeauftragte einer von den 60 Monteuren und konnte in dieser Funktion leichter tätig werden. Weil es aber heute so viele verschiedene Jobs in dem Bereich gibt, wird es immer schwieriger, den Überblick über den Arbeitsschutz für diese vielfältigen Jobs zu behalten. Und das macht die Aufgabe für Sicherheitsbeauftragte nicht einfacher.
Was können Sie Sicherheitsbeauftragten noch empfehlen, damit sie einen guten Job machen?
Gerhard Kuntzemann: Wenn ein Sicherheitsbeauftragter sich als netter Kerl etabliert hat und den Beschäftigten in seinem Arbeitsbereich helfen kann, dann ist er wirklich gut aufgestellt. Ich sage immer ‚netter Kerl‘. Natürlich gibt es genauso gute oder sogar noch bessere weibliche Sicherheitsbeauftragte. Sie sind aber selten. 90 Prozent der Sicherheitsbeauftragten sind Männer. Was ich schade finde. Ich glaube, wir wären in diesem Bereich erfolgreicher, wenn mehr Frauen als Sicherheitsbeauftragte tätig wären. Um die Anzahl weiblicher Sicherheitsbeauftragter zu steigern, sollten Frauen im Betrieb angesprochen und gefragt werden, ob das nichts für sie wäre. Das ist aber eine Aufgabe der Führungskräfte.