
Höhenangst: mehr Respekt als Technik
Arbeiten in der Höhe verlangt ein tiefes Verständnis für Risiko, für menschliche Grenzen – und manchmal auch für Angst. Warum? Das ist das Thema unseres Expertengesprächs
Beim Unternehmen Bosig in Gingen an der Fils gehört der Aufstieg auf die Flachdächer der Werkshallen für die Haustechniker und Fremdfirmen zum Arbeitsalltag. Sicherheit ist hier keine Kür, sondern Pflicht. Daher wurden Bestandsdächer systematisch und mit Augenmaß nachgerüstet.
Frühsommer in Gingen an der Fils: Starkregen prasselt auf die Flachdächer der Firma Bosig, ein Hagelschauer donnert hinterher, nach fünfzehn Minuten ist alles vorbei. Die beiden Haustechniker Thomas Stolz und Jürgen Eckert müssen rauf auf die Dächer. Sichtkontrolle. Hat der Hagel Schäden hinterlassen? An den Lichtkuppeln, den Lichtbändern oder an der PVC-Beschichtung der Dächer? „Ad-hoc-Einsätze nach solchen Wetterereignissen haben wir immer häufiger“, sagt Thomas Stolz. Vor wenigen Jahren hätten er und sein Kollege sich dabei eher auf Balance und Bauchgefühl verlassen. Heute bewegen sie sich sicher auf den Dächern des Unternehmens, weil es an vielen Stellen Geländer, gesicherte Leitern und unzählige Anschlagpunkte für die persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) gibt.
Den Anstoß zur Nachrüstung gab der Bau einer neuen Halle. „Unsere Dachdeckerfirma wies darauf hin, dass viele unserer Bestandsdächer keinen ausreichenden Schutz bieten“, sagt Markus Floruß, der bei Bosig für den Arbeitsschutz zuständig ist. 16.000 Quadratmeter Dachfläche, verteilt auf 15 Hallen, musste das Unternehmen unter die Lupe nehmen. Zuerst hat er mit der externen Fachkraft für Arbeitssicherheit mithilfe der Gefährdungsbeurteilung ermittelt, welche Dachbereiche stark benutzt werden und welche weniger. „Dort, wo wir häufig aktiv sind, haben wir uns für Geländer als Kollektivschutz entschieden. Alle Lichtkuppeln und Lichtbänder haben wir mit Durchsturzsicherungen ausgestattet. In Bereichen, in denen wir seltener arbeiten, haben wir Anschlagpunkte für die persönliche Schutzausrüstung angebracht. Insgesamt 120 Stück.“ Kostenpunkt für die Nachrüstung: ungefähr 60.000 Euro. Dazu Geschäftsführer Harry Leichmann: „Wir haben seit vielen Jahren ein Arbeitsschutzmanagementsystem. Das Dach als Gefahrenbereich gehört einfach dazu, weil mittlerweile viel mehr Arbeiten auf dem Dach stattfinden als früher. Daher war die Investition für uns selbstverständlich.“
Auch wenn Photovoltaik-, Klima- sowie Rauch- und Wärmeabzugsanlagen von Fremdfirmen regelmäßig gewartet und instand gehalten werden – die beiden Haustechniker müssen noch oft genug aufs Dach: für Reinigungsarbeiten, die Überprüfung von Lichtkuppeln und Lichtbändern, bei kleinen technischen Aussetzern der Photovoltaikanlage, die sich per Ferndiagnose beheben lassen, bis hin zu Kontrollen nach Extremwettereignissen.
Ein weiterer Grund zu investieren? Die Schwere möglicher Unfälle! „Bei Bosig ist zum Glück noch nie etwas passiert“, sagt Markus Floruß. „Aber klar ist, ein Sturz aus zehn Meter Höhe von einem Flachdach ist nie ein Bagatellunfall. Der endet mit gravierenden Verletzungen, monatelangen Ausfällen oder sogar tödlich.“ Außerdem profitieren von den Schutzmaßnahmen auch die Kolleginnen und Kollegen in den Werkshallen, weil Werkzeuge bei Reparaturarbeiten nicht mehr durch Lichtkuppeln fallen und sie verletzen können. Ziel der Nachrüstung war ein hoher Sicherheitsstandard, bei dem die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel stimmt. Das sei gelungen, so Markus Floruß, durch eine gute Mischung aus dauerhaften technischen Lösungen und dem Einsatz der PSA gegen Absturz.
Thomas Stolz und Jürgen Eckert wissen die neue Sicherheit zu schätzen und haben mittlerweile ein anderes Risikobewusstsein. „Vorher haben wir an der Dachkante oder an geöffneten Lichtkuppeln mit viel mehr Anspannung gearbeitet, immer ein bisschen in Rücklage, um nicht abzustürzen und durchzufallen“, erzählt Jürgen Eckert. „Ein Augenöffner war die PSA-Schulung“, sagt Thomas Stolz. „Wenn du den Absturz simulierst, im Gurt hängst und weißt, jetzt zählt jede Minute, wird dir erst richtig bewusst, wie groß die Gefahr für deine Gesundheit ist.“ Sprüche wie „Das machen wir schon seit zwanzig Jahren so ohne Sicherung“ gibt es nicht mehr. Mittlerweile bringen sie ihre Erkenntnisse aus der regelmäßigen Schulung in den Alltag ein. Stimmen sich mit Markus Floruß zu Verbesserungen ab, testen Rückhaltesysteme und Helme, „damit sich unsere PSA nicht wie ein Hindernis anfühlt“, sagt Jürgen Eckert, „sondern wie etwas, das uns schützt.“
Auch externe Firmen, die Installations- und Wartungsarbeiten übernehmen, müssen sich an die Sicherheitsstandards halten. Markus Floruß und Thomas Stolz sind bei Bosig beispielsweise Fremdfirmenkoordinatoren. Diese legen genau fest, wo und wie die externen Beschäftigten arbeiten dürfen, sie prüfen bei Arbeitsbeginn die geforderte PSA inklusive Schulungsnachweis und kontrollieren die Firmen engmaschig auf dem Dach. „Bei Fremdfirmen gehen wir keine Kompromisse ein“, sagt Harry Leichmann. „Manche Firmen haben Druck, wollen schnell fertig werden. Aber Druck verursacht Fehler. Und wenn es lebensgefährlich werden kann – wie auf dem Dach –, ist Druck kein Argument, und Fehler dürfen einfach nicht passieren.“
Das Traditionsunternehmen Bosig wurde 1975 gegründet und ist am Standort in Gingen an der Fils auf Abdichtungsprodukte, technische Schaumstoffe, Elastomere und Akustikelemente für Industrie, Handwerk und Bau spezialisiert.
Mitarbeitende: 130
Standorte: Fünf Standorte in Deutschland, einer in China (Shanghai)
Größter Standort: Gingen an der Fils bei Stuttgart
Sicherheitskultur: Bosig hat ein zertifziertes Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzmanagementsystem.
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