
Netto-Mitarbeiter verhindert Katastrophe
Mit schneller Reaktion rettete Dennis Zivanovic elf Menschen vor einem Dacheinsturz im Netto-Markt Ratzeburg. Dafür erhielt er von der BGHW eine Urkunde und eine Geldprämie als Anerkennung.
Das mittelständische Unternehmen Volz Tapes in Schallstadt bei Freiburg setzt Arbeitsschutz systematisch mit seinen Mitarbeitenden um. Wie das im Produktionsalltag gelingt, erläutert die betriebsinterne Fachkraft für Arbeitssicherheit und Qualitätsmanagerin Anja Füssinger. Sie hat bei den Kolleginnen und Kollegen vor allem den Blick geschärft für die nicht so offensichtlichen Gefahren wie Stolpern, Rutschen und Stürzen.
Hoppla, dachte Anja Füssinger, als sie bei einem BGHW-Erfahrungsaustausch mit Fachkräften für Arbeitssicherheit die Statistik sah: Zwei Drittel der neuen Rentenfälle der BGHW gehen auf Stolper-, Rutsch- oder Sturzunfälle zurück. Die 29-Jährige ist Qualitätsmanagerin und Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Volz Tapes, einem Unternehmen für Selbstklebetechnik, in Schallstadt bei Freiburg. Das mittelständische Unternehmen beschäftigt 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
„In unseren Unfallzahlen spiegelt sich die BGHW-Statistik zwar nicht wider“, sagt Anja Füssinger. Aber für die Fachkraft für Arbeitssicherheit steht fest: Sie will den Unfallschwerpunkt Stolpern, Rutschen, Stürzen präventiv und professionell aufgreifen und nutzte dazu unter anderem die Vorbereitung auf das Gütesiegel „Sicher mit System“ der BGHW. Das Unternehmen hat 2019 den Gütesiegel-Prozess gestartet und wurde 2021 erfolgreich zertifiziert.
Im Rahmen der Vorbereitung zur Zertifizierung hat Anja Füssinger sich mithilfe der Gefährdungsbeurteilung beispielsweise die einzelnen Maschinenarbeitsplätze zusammen mit den betroffenen Mitarbeitenden angeschaut, um Stolperfallen zu erkennen: Wie sind die Wege um die Maschine, wo wird Ware transportiert und abgestellt? Wo verlaufen Leitungen und Schläuche? „Früher verliefen viele Leitungen auf dem Boden, zwar in Kabelkanälen, aber das sind Stolperfallen. Die haben wir alle nach oben verlegt“, stellt sie eine Präventionsmaßnahme vor. Bei der Arbeitsplatzanalyse hat sie sich zeitlich nach den Kolleginnen und Kollegen gerichtet: „Im Arbeitsprozess kann ich sie nicht stören. Wir haben uns oft freitagmittags die Zeit genommen, damit sie sich in Ruhe darauf einlassen können.“ Bei vielen habe es nach dieser genauen Betrachtung klick gemacht, so Füssinger. Sie hätten sich daraufhin auch andere Plätze in der Abteilung entsprechend angeschaut.
Aber wie ist sie bei der Arbeitsplatzbetrachtung genau vorgegangen? „Ich habe die Kolleginnen und Kollegen immer gefragt, was ist hier für euch das Gefährlichste? Da kommt von den Leuten nie: Ich könnte hier stolpern. Die sagen immer, ich könnte mich am Messer schneiden oder vom Gabelstapler angefahren werden. Aber dass sie den gesamten Bereich in den Blick nehmen, das passierte bislang nie.“ Daher gehe sie mit den Mitarbeitenden immer einen Schritt zurück, um das gesamte Arbeitsumfeld anzuschauen. „Dann sehen sie auf einmal selbst: Ah, da könnte ich mit dem Fuß hängen bleiben, dort könnte ich stolpern.“
Das kennt auch Jens Demann. Er ist Aufsichtsperson bei der BGHW und betreut Volz Tapes: „Der Mensch selektiert und bewertet permanent mögliche Bedrohungen. Diese 'subjektive' Gefährdungsbeurteilung begünstigt, aus entwicklungshistorischen Gründen, potentielle Gefahrenquellen, die sich in Bewegung befinden oder Geräusche beziehungsweise Lichtreflexe aussenden. Im Technikzeitalter kann dies zu Fehleinschätzungen führen. Blinkende, lärmende Maschinen oder rotierende Anlagen ziehen die volle Aufmerksamkeit auf sich - obwohl sie sich in der Regel auf einem hohen Sicherheitsniveau befinden. Die Gefahr, die von einem scheinbar harmlos ruhenden Gegenstand ausgeht, wird hingegen meist übersehen. Das Instrument der Gefährdungsbeurteilung kann diese subjektive Sicht auf Basis einer fundierten Risikoanalyse ergänzen und die Beschäftigten für scheinbar banale Gefahrenquellen sensibilisieren.“ Anja Füssinger bringt dafür das richtige Gespür mit. Sie ist in der Bergwacht aktiv und weiß, was kleine Fehltritte, was Stolpern, Rutschen oder Stürzen, für Folgen nach sich ziehen können.
Von Beginn des Zertifizierungsprozesses an hat Füssinger die Kolleginnen und Kollegen in den Arbeitsschutz eingebunden. Mittlerweile kommen diese auf sie zu: Hey kannst du gerade mal kommen und dir das angucken? „Wir haben hier kurze Wege“, sagt sie. „Ich kann mir mögliche Problem direkt anschauen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Fachkräfte für Arbeitssicherheit Unfallanalysen machen und die Situation nie live gesehen haben.“ Jens Demann freut sich über den intensiven Austausch, den Anja Füssinger mit der Belegschaft führt und in den sie ihn einbezieht: „Frau Füssinger kommt regelmäßig mit aktuellen Fragen aus der Praxis auf mich zu und fragt mich nach meiner Meinung. Das ist der große Vorteil einer betriebsinternen Fachkraft für Arbeitssicherheit. Sie ist täglich im Betrieb.“
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Kollege Messiah Bergmann hat Anja Füssinger beispielsweise zu sich gerufen, weil er an seiner Maschine immer mit dem Rücken zum Gang arbeitet und es manchmal nicht mitbekommt, wenn hinter seinem Rücken Ware bewegt wird, mit der er kollidieren könnte. Die Idee: einen Spiegel anbringen. Messiah Bergmann hat sich daraufhin selbst Gedanken gemacht und einen magnetischen, drehbaren Spiegel gebaut. „Damit habe ich nicht nur das Umfeld der Maschine im Blick. Ich nutze den mobilen Spiegel auch, wenn ich an einem Ende der Maschine beschäftigt bin und das andere Ende ebenfalls im Blick haben möchte.“
Nicht locker lassen, ist die Devise von Anja Füssinger. Wenn etwas passiere, sagt man schnell, der Mitarbeiter hatte einen schlechten Tag. Das lässt sie nicht gelten. „Ich nutze gerne die 5-Why-Analyse: Immer wieder nachfragen, warum etwas passiert ist. Erst dann kommt man in die Tiefe und sieht, dass nicht nur der Mensch zum Beispiel zu hektisch war und sich die Hand gequetscht hat. Da stand auch die Palette im Weg, dadurch war der Gang viel enger als sonst, außerdem hatte er Zeitdruck. Dann hat man ruckzuck einen technischen Grund, einen organisatorischen und als letztes den Menschen und sein Verhalten.“ Und in dieser Reihenfolge müsse man auch die Präventionsmaßnahmen umsetzen.
Im Logistiklager kommt bei Volz Tapes ein Personenschutzsystem für die Kommissionierstapler zum Einsatz. Dazu Johannes Bläsi, Leiter Logistik: „Diese technische Schutzmaßnahme hat den positiven Nebeneffekt, dass sich auch das Problem Unordnung von selbst regelt. Ein Beispiel: Sobald eine Kleberolle in den Regalgang hereinragt, wird sie vom Personenschutzsystem als Objekt im Gefahrenbereich erkannt und der Kommissionierstapler wird automatisch bis zum Stillstand abgebremst. Die Beschäftigten müssen also Material ordentlich verräumen, damit die Lagerlogistik nicht stockt.
Anfangs kam es immer wieder vor, dass Putzmaterial fehlte, wenn es gebraucht wurde. Die entsprechende organisatorische Maßnahme? Jeder Bereich hat nun eigene Putzbretter, an denen Kehrblech, Besen und Putzlappen hängen. Herumstehende Gläser oder Kaffeebecher sind im gesamten Gebäude nicht mehr gewünscht. „Daher haben wir verschließbare Recycling-Kaffeebecher angeschafft. Falls ein Becher umfällt, gibt es keine Scherben und verschüttete Flüssigkeiten, an denen wir uns verletzen oder auf denen wir ausrutschen können“, erzählt Anja Füssinger. Falls doch irgendwo Flüssigkeiten auf dem Boden auslaufen, steht zentral in der Produktionshalle eine Station bereit mit ausreichend Putzlappen. Vor den Maschinen liegen Schutzmatten mit einer Noppenstruktur, auf denen sich Flüssigkeit nicht staut und zum Ausrutschen führt. Mülleimer an den Produktionsmaschinen helfen den Mitarbeitenden, Ordnung zu halten. Als persönliche Schutzmaßnahme haben alle Beschäftigten in der Produktion und Logistik individuell ausgewählte Sicherheitsschuhe erhalten.
All diese Maßnahmen kosten Geld, das Unternehmensinhaber Andreas Benz bewilligen muss. „Herr Benz steht absolut hinter sämtlichen Arbeitsschutzmaßnahmen und fördert sie“, sagt Anja Füssinger. Das sei ein großer Vorteil. Auch Aufsichtsperson Jens Demann kennt Andreas Benz seit Jahren als engagierten Arbeitsschützer: „Nahezu zeitgleich mit der Unternehmensgründung vor knapp fünfzehn Jahren hat Herr Benz an unserer BGHW-Schulung ‚Verantwortung im Arbeitsschutz‘ teilgenommen. Seitdem hat er mittlerweile alle Führungskräfte von Volz Tapes zu dieser Schulung geschickt.“
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