
Erste-Hilfe-Auszeichnung: Heldentat in der Werkshalle
Vier Kollegen retteten bei Häuselmann Metall einem Verunglückten das Leben. Die BGHW ehrte sie für ihren mutigen Erste-Hilfe-Einsatz.
„Querschnittgelähmt – die Diagnose lässt sich durch nichts auf der Welt ändern. Deswegen habe ich versucht, das schnell abzuhaken und nach vorne zu schauen“, sagt Christoph Weis. Seit seinem 20. Lebensjahr ist er wegen eines schweren Fahrradunfalls Rollstuhlfahrer. Wie der Unfall sein Leben verändert hat, schildert der 33-Jährige in HUNDERT PROZENT. Inzwischen ist er Assistenzarzt im Luzerner Kantonsspital in der Schweiz.
Das Wichtigste im Überblick
Sommer 2011: Christoph Weis fühlt sich jung und frei. Er hat sein Abitur in der Tasche. Der sportliche Naturfreund genießt mit seiner Freundin das Leben an Badeseen und in den Bergen. Sein Berufswunsch steht für ihn längst fest: Der 20-Jährige möchte Arzt werden. Weil sein Notendurchschnitt für eine Zulassung zum Studium nicht ausreicht, hat er sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Rettungsdienst entschieden. Das würde für das Studium anerkannt. Der Vertrag mit dem Malteser Hilfsdienst in Freiburg ist unterschrieben. Am Vormittag des 24. August hat er dort einen Termin, in dem es um seine Konfektionsgröße für die Bestellung seiner Team-Kleidung geht. Am frühen Abend macht sich Weis auf den Weg zu seinem Aushilfsjob an der Kasse eines Lebensmittelmarktes in Freiburg. Schnell fährt er einen abschüssigen Radweg in Richtung Kreuzung hinunter. Plötzlich biegt vor ihm ein Pkw ab. Ungebremst prallt Weis gegen das Auto und überschlägt sich. Der Fahrer hat den von hinten kommenden Radfahrer übersehen. Seitdem ist im Leben von Christoph Weis nichts mehr, wie es war.
„Ich habe geahnt, dass ich querschnittgelähmt bin!"
An der Unfallstelle versorgen ihn dieselben Rettungskräfte, mit denen er mittags über Kleidergrößen und FSJ gesprochen hat. An vieles kann er sich nicht mehr erinnern. Einige Unfall-Szenen haben sich jedoch in sein Gedächtnis eingebrannt. „Viele Köpfe beugten sich über mich. Schnell realisiert er, dass er seine Beine nicht mehr spürt. „Ich habe geahnt, dass ich querschnittgelähmt bin“, sagt der 33-Jährige. Seinen Vater haben die Kollegen aus dem Lebensmittelmarkt angerufen, weil Christoph nicht zur Arbeit gekommen war. Joachim Weis fährt besorgt die Strecke zum Arbeitsplatz seines Sohnes ab, kommt auch zur Unfallstelle. Zu spät. Erst im Krankenhaus trifft er seinen schwerverletzten Sohn. „Mein Vater hat alles krass aus nächster Nähe miterlebt. Das tut mir bis heute leid für ihn“, sagt Christoph Weis. Sein Vater ist auch an seiner Seite, als ihm die Ärzte in der Freiburger Uniklinik am nächsten Tag die befürchtete Diagnose eröffnen. Querschnittlähmung. Zwei Tage später wird der 20-Jährige zur Weiterbehandlung ins Querschnittzentrum der BG Klinik Tübingen verlegt.
„Die ersten zehn Tage waren richtig schlimm. Ich hatte Albträume und fühlte mich fremd in meinem querschnittgelähmten Körper“ erinnert sich Weis. „Ich spürte vieles nicht mehr und manches doch. Meinen Körper musste ich nochmal neu kennenlernen. Das war eine sehr intensive, schwere Zeit“, erzählt er. Viele Tage verbrachte er liegend im Krankenhaus, geschwächt von Unfall und Operationen. Rückblickend war es für den ambitionierten Sportler ein Meilenstein, erstmals aufrecht sitzen zu können – in einem Mobilisationsstuhl auf Rollen vor dem Eingang der BG Klinik Tübingen. Vier Monate verbrachte Weis in der Klinik, bevor er nach Hause kam. Seine Eltern standen – ebenso wie ihr Sohn Christoph – im engen Austausch mit der BGHW, die ihn seit seinem Unfall begleitet. „Es musste vieles umgebaut werden, weil das Haus nicht barrierefrei war“, schildert Reha-Berater Hartmut Wahlig, der den BGHW-Versicherten seit 2013 zunächst mit seiner Kollegin Patricia Zaus gemeinsam betreut. „Christoph Weis hat ungewöhnlich schnell, konsequent und ehrgeizig seinen Weg gemacht. Er hat sich selbst viel abverlangt“, so Wahlig. Vieles habe der Versicherte selbst gesteuert. Die BGHW unterstützt ihn auf vielfältige Weise. Für den erfahrenen Reha-Berater ist Weis ein beeindruckendes Beispiel für Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit. „Neben der Unterstützung durch die Familie war auch sein Ehrgeiz seiner Entwicklung sehr dienlich“, sagt Wahlig.
Christoph Weis brauchte Zeit, um sich mit seinem Körper zurechtzufinden. Vieles funktionierte in diesem neuen Körper nicht richtig. Darm, Stuhlgang, Urinieren, Schläuche und Katheter: „Man realisiert erst langsam, ein Pflegefall zu sein. Ich habe bei Null angefangen mit dem Ziel, irgendwann alles wieder selber machen zu können,“ betont er. „Ich stellte etwas anderes dar, als vor dem Unfall.“ Seine Leitlinie, sein Mindset, lautet bis heute: „Nur ich selber kann dafür sorgen, dass es mir gut geht.“
“Lass dir helfen!”
Alles zu schaffen, was er sich vornahm, am liebsten ohne die Hilfe anderer, das war für ihn die permanente Herausforderung. Das mussten auch seine Familie und seine Lebensgefährtin lernen. Denn selbstständig sein zu wollen und gleichzeitig Hilfe zu benötigen – das kann zu Spannungen und Missverständnissen führen. „Manchmal reagierte ich beleidigt oder sauer, wenn meine Familie oder Freundin mir helfen wollten. Und irgendwann habe ich mir gesagt: Warum nicht? Lass dir helfen!“, erzählt er. Familiäre Beziehungen und Freundschaften entwickelten eine neue Dynamik. Das verunsicherte auch Freunde und Nachbarn. „Ich wollte, dass meine Schwestern, Familie, Freunde und Nachbarn normal mit mir umgehen“, betont er.
Es dauerte, bis er mit der neuen Lebenssituation im Alltag zurechtkam. Seine Mutter, Musiktherapeutin, unterbrach ihre berufliche Tätigkeit für ein Jahr, um ihren Sohn zu unterstützen. „Stück für Stück gewann ich meine Freiheit zurück. Und eines Tages war mir klar: Es bleibt dabei, ich möchte Arzt werden!“, erzählt er. Schon als junger Erwachsener hat er alte Menschen im Seniorenheim betreut. Sein damaliger Mini-Job bestand darin, die Altenpflege zu unterstützen und mit den Bewohnerinnen und Bewohnern deren Freizeit zu gestalten.
Durch die „Härtefall-Regelung“ erhielt er – wegen seiner Querschnittlähmung – die Zulassung zum Medizin-Studium in Freiburg. Ein Jahr nach seinem Unfall begann er zu studieren, pendelte zunächst von Elternhaus zur Uni. „Bis ich ins Studentenwohnheim und dann in meine erste eigene Wohnung zog, war ich sehr behütet“, erinnert er sich. Das Studentenleben war ganz nach seinem Geschmack. „Ich kam mit den Alltagshürden im Umfeld der Uni gut zurecht. Und wenn es sein musste, trugen mich meine Kommilitonen im Rollstuhl die Treppen hoch und hinunter“, erinnert er sich. Auch seine damalige Freundin, die er im Studium kennenlernte, habe ihn sehr unterstützt und mitgezogen. „Durch sie hatte ich den Ehrgeiz, mit guten Noten zu bestehen“, sagt er.
Seine ersten praktischen Erfahrungen während des Studiums sammelte er als angehender Arzt im Paraplegikerzentrum für Menschen mit Querschnittlähmung in Nottwill am Sempacher See in der Schweiz. Während des Praktikums erhielt er ein Angebot für eine Festanstellung als Assistenzarzt nach dem Studium. Im November 2020 nahm er dort seine Tätigkeit auf. „Es war ein gutes Gefühl, ich kannte die Kolleginnen und Kollegen und wusste, was auf mich zukommen würde. Zudem fand ich es spannend, als Betroffener in einem Querschnittzentrum zu arbeiten. Das Thema Querschnitt war für mich unkompliziert.“ Um weitere medizinische Fachbereiche kennenzulernen, wechselte Weis im Januar 2023 auf die Reha-Station zum Luzerner Kantonsspital.
Die Medizin habe ihn schon immer interessiert. Dieser Beruf mache ihm großen Spaß. „Es ist schön, mit Menschen im Austausch zu sein“, sagt er. Nach seinem ersten Jahr auf der Reha-Station ist er seit Jahresanfang in der Inneren Medizin. „Es ist schon etwas Spezielles, Assistenzarzt im Rollstuhl zu sein“, sagt Weis, dessen Tagesablauf und Tätigkeiten sich nicht von denen seiner Kolleginnen und Kollegen unterscheidet. Dazu gehören tägliche Visite, Austausch mit den Pflegenden oder Untersuchungen. „Was für mich körperlich schwierig sein könnte, ist eine Reanimation oder ein Notfall. Die körperliche Unterlegenheit könnte zudem bei einem gewaltbereiten Patienten eine Rolle spielen“, so Weiß.
Durch die früheren Familienurlaube und Wanderungen in der Schweiz hat er eine besondere Beziehung zum Nachbarland. „Zunächst war es für mich auch ein kleines Abenteuer, im Ausland zu arbeiten!“, erzählt er. Inzwischen fühlt er sich in der Schweiz so heimisch, dass er sich in der Nähe von Luzern mit seiner belgischen Lebensgefährtin ein Eigenheim gekauft hat. Die BGHW unterstützt ihn finanziell bei erforderlichen barrierefreien Baumaßnahmen. Christoph Weis und sein Reha-Berater Hartmut Wahlig tauschen sich regelmäßig aus. In der Schweiz hat der ambitionierte Naturmensch – nach seinem Unfall – alpines Skifahren gelernt. Das Gefühl von Freiheit begeistert ihn. Auch mit dem Handbike ist er regelmäßig auf Tour, und er ist begeisterter Angler. „Wenn es einem gut geht und man nicht krank ist, kann man so viel Schönes erleben“, so Christoph Weis. „Nach meinem Unfall ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Aber im Laufe der Zeit ist mir bewusst geworden, was das Leben alles zu bieten hat und wie viel Glück ich dennoch habe.“
Vier Kollegen retteten bei Häuselmann Metall einem Verunglückten das Leben. Die BGHW ehrte sie für ihren mutigen Erste-Hilfe-Einsatz.
Um die Rückkehr der BG-Versicherten an den Arbeitsplatz optimal…
Auf dem Arbeitsweg wird Erick Bloßfeld zum Lebensretter. Als der Busfahrer…
Zunehmende Bedrohungen und Gewalt gegen Rettungs-, Einsatz- und…
Wie hält man die unterschiedlichen Generationen im Unternehmen in Balance?…
Arbeitsschutz kann bei der Integration zugewanderter Mitarbeitender unterstützen. Warum das so ist, erläutert Dr. Katrin Boege, Expertin bei der DGUV.
Wir freuen uns auf Ihre Anfrage!