Rewe-Azubi Achilleas Tsantekidis beim Regaleinräumen. Er sitzt im Rollstuhl.
Datum der Veröffentlichung: Lesezeit: 3 Minuten

Azubi Achilleas: „Endlich zeigen, was ich draufhabe“

Seit Achilleas Tsantekidis in Meerbusch eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann begonnen hat, weiß er genau, was er will: Der Rollstuhlfahrer möchte später einen eigenen Lebensmittelmarkt betreiben, so wie sein Chef, David Hegemann. Dieser betreibt fünf Rewe-Märkte im Raum Düsseldorf.

Das Wichtigste im Überblick

  • David Hegemann betreibt fünf Rewe-Filialen in Düsseldorf. 2024 wurde der selbständige Kaufmann mit dem Inklusionspreis für die Wirtschaft ausgezeichnet.
  • In seinen Märkten arbeiten insgesamt zehn Mitarbeitende mit Einschränkungen, seit Sommer 2024 auch der erste Auszubildende.
  • In über 20 REWE-Märkten der Region West gibt es so genannte „Inklusionsabteilungen“ 
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Inklusion ganz praktisch

Rewe-Marktbetreiber David Hegemann (rechts) im Gespräch mit Roderich Dörner, Ansprechpartner für Inklusion bei Rewe West
David Hegemann (rechts) im Gespräch mit Roderich Dörner

In den Märkten von David Hegemann arbeiten immer mehr Menschen mit Behinderung. Für sein Engagement und die Einrichtung inklusiver Arbeitsplätze wurde der selbstständige Kaufmann im vergangenen Herbst mit dem Inklusionspreis für die Wirtschaft 2024 ausgezeichnet. Wie es dazu kam und wie Inklusion in der Praxis funktioniert, schildern David Hegemann, Achilleas Tsantekidis und Roderich Dörner, Ansprechpartner für Inklusion bei Rewe West, in einem Gespräch mit HUNDERT PROZENT im Lebensmittelmarkt Meerbusch-Büderich. „Ich bin froh, dass Herr Hegemann mir als Rollstuhlfahrer die Chance gibt, in seinem Supermarkt eine Ausbildung zu machen. Endlich kann ich zeigen, was ich draufhabe. Das ist nicht selbstverständlich“, sagt Achilleas Tsantekidis. Wegen einer Fehlbildung seiner Wirbelsäule ist er seit seiner Geburt beeinträchtigt. Er kann nicht mehr als ein bis zwei Schritte gehen, dann knicken seine Beine ein. Deswegen ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. 

Im Sommer 2024 hat er in Meerbusch die dreijährige Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel begonnen. „Bis dahin habe ich nicht geglaubt, dass ich als Rollstuhlfahrer mal in einem ‚normalen Beruf‘ arbeiten würde. Herr Hegemann war bei einer Informationsveranstaltung für Ausbildungsberufe in unserer Schule. Meine Lehrer haben mich empfohlen“, erzählt er, während er durch zwei Regalreihen des Einkaufsmarktes rollt. In seinem Schoß hält er einen Karton mit Kaffeepaketen.

Schnell steht fest - das passt

Schon während seines Praktikums im Lebensmittelmarkt in Büderich stand für ihn und seinen Chef schnell fest: Das passt. Drei Wochen später unterschrieb der 21-Jährige seinen Vertrag. Inzwischen steuert er auf das zweite Ausbildungsjahr zu. Achilleas bleibt mit seinem Rollstuhl vor einem Regal mit Kaffee und Tee stehen, beugt sich nach vorne und setzt – auf Augenhöhe – ein Päckchen Kaffee nach dem anderen ins Regal. „So komme ich noch zurecht. Aber weitere Reihen erreiche ich nicht vom Rollstuhl aus“, sagt er. In Fällen wie diesen bittet er eine Kollegin oder einen Kollegen um Hilfe. So wie jetzt: „Kannst du bitte kommen, Sarah?“, spricht er in sein Funkmikrofon, das am Hemdkragen befestigt ist. 

„Hier sind alle sehr hilfsbereit und unterstützen mich“, sagt Achilleas, der als Sohn griechischer Eltern in Düsseldorf geboren wurde. „Es ist wie in einer großen Familie. Die Arbeit macht mir Spaß. Ich kann mir gut vorstellen, später einen eigenen Markt zu leiten“, sagt er. „Ich gebe mein Bestes“, bekräftigt er. Das bestätigt Marktleiterin Sarah Motes, die auf seinen Funkruf reagiert hat. Sie kommt und sortiert die Pakete für ihren Azubi ins Regal. „Ich bin sehr froh, dass er bei uns ist. Achilleas ist eine Bereicherung für unser Team“, sagt sie. 

„Es stärkt das Team und alle sind stolz“

Rewe-Marktleiterin Sarah Motes hilft Rewe-Azubi mit Rollstuhl die oberen Regalreihen einzuräumen
Marktleiterin Sarah Motes mit Azubi Achilleas

Für Marktbetreiber David Hegemann ist die Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigung eine Herzenssache. „Ich weiß, dass es für schwerbehinderte Menschen nicht einfach ist, auf dem Arbeitsmarkt einen Job zu bekommen.“ Der gelernte Kaufmann, seit 2018 selbständig, betont: „Ich empfinde es als meine soziale Verantwortung – und ich habe gute Erfahrungen gemacht.“ Es sei eine Win-win-win-Situation, von der alle profitieren. „Es stärkt das Team. Alle sind stolz darauf, dass bei uns Menschen eine Chance erhalten, die vorher keine Chance hatten und dass wir ein inklusiver Supermarkt sind“, sagt Hegemann. „Das Team sowie die Kundinnen und Kunden wertschätzen es – das macht mich glücklich.“ 

Seine erste Beschäftigte mit Beeinträchtigung hat er vor vier Jahren eingestellt. „Sie hat mich mit ihrer positiven Art und ihren Leistungen so begeistert, dass ich mich entschieden habe, mehr beeinträchtigte Menschen einzustellen“, erzählt er. Von den rund 170 Frauen und Männern, die heute in seinen Märkten arbeiten, sind zehn Menschen schwer behindert. Einige Beschäftigte haben kognitive Schwächen. „Man darf ihnen nicht zu viele verschiedene Aufgaben geben und sie nicht überfordern. Wer in seinem Tätigkeitsfeld eingearbeitet ist, kann sich hervorragend einbringen“, betont Hegemann.

Mit Handzeichen kommunizieren

Ein weiterer Mitarbeitender kann nicht sprechen und nicht hören. „Anfangs befürchtete ich, dass es an der Kommunikation scheitern könnte. Aber wir haben schnell Mittel und Wege zur Verständigung gefunden, kommunizieren schriftlich, über Handy, mit Handzeichen und Gesten“, schildert Hegemann. Hinzu komme, dass der Mann sehr feinfühlig sei. Häufig weiß er schon, was gemeint ist, bevor es ausgesprochen ist. „Manchmal kann er Gedanken lesen“, so Hegemann. Stundenweise kommt eine Gebärden-Dolmetscherin zur Übersetzung, die von der Bundesagentur für Arbeit eingesetzt und bezahlt wird.

Die Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung wird finanziell unterstützt. Jedoch hat Hegemann von möglichen Zuschüssen erst nach und nach erfahren. Mit relativ wenig Fachwissen offen sein für Menschen, das ist sein Motto gewesen – bis Inklusions-Experte Roderich Dörner von der Rewe West vor eineinhalb Jahren auf ihn zukam. Er ist Profi in der Gestaltung inklusiver Arbeitsplätze und betreut 600 Märkte der Rewe West. „Seit uns Roderich Dörner mit seiner unfassbaren Expertise unterstützt, stellen wir uns anders auf. Inklusion spielt jetzt eine viel größere Rolle“, betont David Hegemann. 

Beratung durch Profi für inklusive Arbeitsplätze

Die Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung wird finanziell unterstützt. Jedoch hat Hegemann von möglichen Zuschüssen erst nach und nach erfahren. Mit relativ wenig Fachwissen offen sein für Menschen, das ist sein Motto gewesen – bis Inklusions-Experte Roderich Dörner von der Rewe West vor eineinhalb Jahren auf ihn zukam. Er ist Profi in der Gestaltung inklusiver Arbeitsplätze und betreut 600 Märkte der Rewe West. „Seit uns Roderich Dörner mit seiner unfassbaren Expertise unterstützt, stellen wir uns anders auf. Inklusion spielt jetzt eine viel größere Rolle“, betont David Hegemann.

Porträt Roderich Dörner, Ansprechpartner für Inklusion bei Rewe West

Inklusionsabteilungen geben Kaufleuten und Filialleitern Planungssicherheit

Roderich DörnerAnsprechpartner für Inklusion bei Rewe West

Menschen mit Behinderung begleiten und in den Alltag einbinden

Mitte des vergangenen Jahres hat er mit Dörners Unterstützung als einer der ersten Markt-Betreiber der Rewe West eine Inklusionsabteilung gegründet. Dort arbeiten neun Menschen mit Behinderungen, einige als Verräumkräfte, andere machen eine Ausbildung. Roderich Dörner erklärt das Konzept und die Möglichkeiten: „Inklusionsabteilungen geben Kaufleuten und Filialleitern Planungssicherheit. Sie bringen Strukturen und vereinfachen die Verankerung von Inklusion in die Unternehmenskultur. Werden mindestens drei neue Mitarbeitende eingestellt, so lohnt es sich darüber nachzudenken, Inklusionsabteilungen nach §215 zu installieren“, empfiehlt Roderich Dörner. Diese sind keine typischen Abteilungen, sie haben individuelle Anforderungen und entsprechende Gestaltungsräume. Dörner kümmert sich um die Beantragung von Zuschüssen und organisiert die pädagogische Begleitung für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit Behinderung. Seine Aufgabe bei Rewe West beschreibt Dörner so: „Ich vermittle Kontakte, organisiere eine vernünftige Einarbeitung. Und ich helfe dabei, Menschen mit Behinderung zu finden, ihnen einen Arbeitsplatz zu vermitteln, sie gut begleitet zu wissen und in den Arbeitsalltag einzubinden.“

Zuschüsse für Arbeitsmittel und Gehalt

Da viele Menschen mit Behinderungen nicht die vollen Arbeitsleistungen erbringen können, erhält David Hegemann finanzielle Unterstützung von der Agentur für Arbeit und vom Inklusionsamt des Landschaftsverbandes Rheinland in Nordrhein-Westfalen (LVR). Der LVR ist Leistungsträger für Menschen mit Behinderungen und engagiert sich für Inklusion. „Wir bekommen Zuschüsse für die Einrichtung der Arbeitsplätze, für erforderliche Hilfsmittel und zum Gehalt“, erklärt Hegemann. Motiviert durch die Unterstützung von Roderich Dörner ist er als Inklusions-Botschafter jetzt noch vielseitiger aktiv. Der 41-Jährige nimmt Kontakte zu inklusiven Regelschulen und Förderschulen auf, bietet Praktika und Erprobungen an und wirkt in Unternehmensnetzwerken mit. An einem Speeddating der Bundesagentur für Arbeit für Menschen mit Behinderungen präsentierte sich das Team Hegemann, um weitere Arbeitskräfte anzuwerben. Auf mehreren Social-Media-Kanälen wirbt der Kaufmann für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Auch seine Kolleginnen und Kollegen in den Märkten möchte er sensibilisieren. 

Strategie überzeugt auch Jury

Rewe-Azubi Achilleas Tsandekidis vor einem Pappaufsteller, der ihn und seinen Chef David Hegemann zeigt.
Ein gutes Team: Mit diesem Aufsteller bewirbt David Hegemann den Gewinn des deutschen Inklusionspreises der Wirtschaft.

Mit seiner öffentlichkeitswirksamen Strategie überzeugte David Hegemann 2024 die Jury des Inklusionspreises für die Wirtschaft unter der Schirmherrschaft von Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales. Sie bescheinigt Hegemann ein gut übertragbares Konzept sowie vorbildliches Engagement und überreichte ihm im Oktober 2024 den begehrten Preis in der Kategorie „Mittelständische Unternehmen“. Initiiert wurde der Inklusionspreis von der Bundesagentur für Arbeit, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Charta der Vielfalt und des Unternehmensforums.

„Ohne die Unterstützung von Rewe West hätte ich das alles nicht geschafft. Das ist Teamleistung, die uns hilft, das Thema Inklusion extern und intern umzusetzen, zu vermarkten und andere mitzunehmen", sagt Hegemann. Sein erklärtes Ziel: Er möchte zehn weitere schwerbehinderte Menschen einstellen. Die Vorstellungsgespräche und vorbereitende Praktika laufen.

Arbeitsweg mit Barrieren

Auch Auszubildender Achilleas Tsantekidis weiß das Engagement und Know-how seines Chefs und des Inklusionsfachmanns Roderich Dörner zu schätzen. Monatelang war er zweieinhalb Stunden mit Bus und Bahn unterwegs, um zur Arbeit und zurückzukommen. Mit Dörners Hilfe fand er ein Transfer-Unternehmen, das ihn zu Hause abholt und nach der Arbeit wieder zurückbringt. Die Kosten werden von der Bundesagentur für Arbeit bezuschusst. Der Transfer kommt ihm auch beim Besuch des Berufkollegs zugute. Eigentlich würde der begeisterte Rollstuhlbasketballer die Berufsschule in seiner Heimatstadt Düsseldorf besuchen. Diese ist aber nicht barrierefrei. Deswegen besucht er jetzt das Berufskolleg für Wirtschaft in der Nachbarstadt Neuss. Das nimmt der angehende Einzelhandelskaufmann gerne in Kauf. 
 

Cap und Edeka gemeinsam für Inklusion

Porträt Torsten Geiler, Geschäftsbereichsleiter Personal bei Edeka Südwest
Torsten Geiler, Edeka Südwest

Die Lebensmittelkette Cap (von engl. Handi-cap) ist ein gutes Beispiel für gelungene Integration. In bundesweit rund 100 Märkten arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Der erste Cap-Markt entstand 1999 auf Initiative der Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Südin Stuttgart. Hauptlieferant und Partner der Cap-Filialen ist seit 2005 Edeka. Torsten Geiler, Geschäftsbereichsleiter Personal bei Edeka Südwest und ehrenamtliches Mitglied in der Selbstverwaltung der BGHW über die erfolgreiche Zusammenarbeit:

„In den inklusiv und sozialverträglich ausgelegten Lebensmittelmärkten von Cap wirken Menschen mit und ohne Behinderung erfolgreich zusammen – jeder an seinem Platz, die jeweiligen Aufgaben individuell zugeschnitten auf die jeweiligen Fähigkeiten. Edeka Südwest ist mittlerweile seit genau 20 Jahren Partner der Cap-Märkte im Südwesten. Wir stellen unsere ganze Expertise bei der qualifizierten Nahversorgung der Menschen mit Lebensmitteln zur Verfügung. Im Gegenzug lernen wir von Cap in Sachen sinnvoller und gelungener Inklusion. Unsere jeweiligen Leitmotive „Wir leben Inklusion“ und „Wir lieben Lebensmittel“ verbinden sich auf perfekte Weise, und aus den rund zehn Märkten zu Beginn unserer Zusammenarbeit sind aktuell rund 70 Cap-Standorte geworden. Gemeinsam sorgen wir so dafür, dass Barrierefreiheit nicht nur in den Märkten, sondern auch in unseren Köpfen Einzug hält.“

 

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