Gewalt erfahren häufig Einsatzkräfte von Rettungsdiensten, Feuerwehr und Polizei, Personal in Zügen und an Bahnhöfen, aber auch Beschäftigte im Einzelhandel und an Tankstellen. Was wollte die BGHW mit ihrer Befragung herausfinden?
Kathrin Schwarzmann: Mit der Befragung wollten wir belastbare Daten über Art und Umfang von Gewaltereignissen in Handel und Logistik durch betriebsfremde Personen erhalten. Zu diesen zählen zum Beispiel Kunden und Kundinnen sowie Lieferanten. Außerdem wollten wir erfahren, wie Führungskräfte und Beschäftigte mit Gewalt am Arbeitsplatz umgehen. Insgesamt haben 2786 Personen an der Befragung teilgenommen, davon waren 60 Prozent Frauen. Mehr als zwei Drittel kamen aus dem Einzelhandel, das restliche Drittel kam zu etwa gleichen Teilen aus dem Großhandel beziehungsweise aus der Logistik. Die Ergebnisse nutzen wir, um unsere Präventionsmaßnahmen passgenau weiterzuentwickeln. Denn jeglicher Form von Gewalt muss entschieden entgegengetreten werden.
Welchen Fokus hatte die Befragung und was ist ein zentrales Ergebnis?
Kathrin Schwarzmann: Der Fokus unserer Befragung lag auf den psychischen Gewaltereignissen wie zum Beispiel Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen. Auch Dominanzgebaren, zum Beispiel Einschüchterung, oder das Übertreten des gebotenen Abstands fallen darunter. Verbale Attacken machen den Großteil der Fälle aus – zwei Drittel der Befragten wurden schon verbal angegangen. Betroffen sind vor allem Beschäftigte, die häufig Kundenkontakt haben. Teilweise wurde von täglichen Beleidigungen berichtet. Es wurden aber auch physische Ereignisse, also körperliche Angriffe oder Raubüberfälle miterfasst. Je gravierender die Gewalterfahrungen waren – bis hin zu körperlichen Angriffen – desto weniger häufig wurden sie berichtet.
Die Auswirkungen von verbaler Gewalt werden häufig unterschätzt oder heruntergespielt. Warum sollten diese unbedingt ernst genommen werden?
Kathrin Schwarzmann: Klar muss sein, dass auch ein weniger schwerer Übergriff wie eine verbale Aggression gesundheitliche Folgen haben kann. Und man darf nicht vergessen, dass verbale Gewalt auch mal ins Handgreifliche kippen kann. Leider werden Vorfälle häufig hingenommen, verdrängt und verharmlost – aus Angst oder Scham oder weil man sich an entgegengebrachte Aggressionen vermeintlich „gewöhnt“ hat. Und der Kunde ist in vielen Betrieben immer noch König. Dabei reagiert natürlich jeder anders. Aber für jeden kommt irgendwann die Grenze, die nicht mehr kompensierbar ist und dann kann vermehrtes Stresserleben auch zu Erkrankungen führen. Das passiert dann oft schleichend, möglicherweise mit anfänglicher Aversion gegen die Arbeit, und kann sich schließlich zu Demotivation bei der Arbeit oder auch körperlichen Symptomen wie beispielsweise innere Unruhe oder Schlaflosigkeit steigern.
Was kann das Unternehmen tun, um seine Mitarbeitenden zu schützen?
Kathrin Schwarzmann: Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz ist die Gefährdungsbeurteilung. Psychische Gewaltereignisse sollten in dem Teil der Gefährdungsbeurteilung mit aufgenommen werden, bei dem es um die psychische Belastung geht. Die Gefährdungsbeurteilung gibt Hinweise, ob und wo es Handlungsbedarf gibt. Daraus lassen sich dann Maßnahmen ableiten und umsetzen. Dazu zählen zum Beispiel die Entwicklung eines Notfallplans und der Einsatz von betrieblichen psychologischen Erstbetreuenden, die sich um Betroffene nach einem Gewaltereignis unmittelbar kümmern. Die BGHW hat für ihre Ausbildung auch ein Förderprogramm aufgelegt.